Moodle-Systeme erfolgreich beschaffen – Die vergaberechtliche Pflicht und Kür

Vergaberecht Ausschreibungen
Vergaberecht Ausschreibungen

Frage:

Ist die Beauftragung, ein Moodle-System einzurichten und / oder zu betreuen ausschreibungspflichtig? Wie immer, wenn ein Thema rechtliche Aspekte berührt, lautet die Antwort: “Das kommt drauf an”.

Und zwar auf die konkreten Umstände des Einzelfalles.

1. Einleitung: IT-Beschaffung und die Schwellenwerte

Die Einführung und der Betrieb eines Learning Management Systems (LMS) wie Moodle stellen öffentliche Auftraggeber – von Kommunen über Schulen bis hin zu großen Bundesbehörden – vor die Herausforderung, die notwendigen Dienstleistungen (Einrichtung, Hosting, Support, Content-Erstellung) vergaberechtskonform zu beschaffen. Moodle-Aufträge fallen in die Kategorie der IT-Dienstleistungen und sind damit dem allgemeinen Vergaberecht für Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterworfen.

Der zentrale Dreh- und Angelpunkt ist stets der geschätzte Auftragswert (netto). Er entscheidet, ob das strengere EU-Vergaberecht (Oberschwellenbereich) oder das flexiblere, aber dennoch reglementierte nationale Vergaberecht (Unterschwellenbereich) zur Anwendung kommt.

2. Die EU-Schwellenwerte: Der Sprung ins “Oberschwellen-Land”

Das europäische Vergaberecht, geregelt hauptsächlich im GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) und der VgV (Vergabeverordnung), gilt, sobald der geschätzte Auftragswert die sogenannten EU-Schwellenwerte erreicht oder überschreitet.

Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge (worum es sich bei Moodle in der Regel handelt) gelten seit dem 1. Januar 2024 (netto):

Auftraggeber-TypSchwellenwert (Netto)Maßgebliche Vorschrift
Oberste/Obere Bundesbehörden143.000 EURVgV
Andere öffentliche Auftraggeber (Kommunen, Länder, Hochschulen)221.000 EURVgV

Achtung: Bei der Ermittlung des Werts müssen alle Optionen, Verlängerungen und Lose über die gesamte Vertragslaufzeit hinweg addiert werden (§ 3 Abs. 3 VgV). Eine unzulässige Aufteilung eines Gesamtauftrags, um unter den Schwellenwert zu gelangen (“Stückelung”), ist strengstens untersagt und führt zur Rechtswidrigkeit der Vergabe.

3. Der Unterschwellenbereich: Nationale Regeln & Behörden-Variationen

Liegt der geschätzte Nettoauftragswert unterhalb des EU-Schwellenwerts, gilt das nationale Vergaberecht. Die Basis hierfür bildet die UVgO (Unterschwellenvergabeordnung) und die entsprechenden Haushaltsordnungen (BHO, LHO, GemHVO etc.).

Hier zeigen sich die größten Unterschiede zwischen Behörden und Auftragsvolumen:

  1. Regelverfahren (UVgO): Grundsätzlich gilt im Unterschwellenbereich der Vorrang der Öffentlichen Ausschreibung oder der Beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb (§ 8 Abs. 2 UVgO).
  2. Direktauftrag (Die kleinste Schwelle): Für sehr geringwertige Aufträge (meist bis 3.000 EUR oder 5.000 EUR netto) erlauben viele Bundesländer oder Bundesbehörden einen Direktauftrag ohne formelles Vergabeverfahren (Freihändige Vergabe / Verhandlungsvergabe). Diese Grenze kann je nach Bundesland und Behördenart (z.B. Schulen) leicht variieren.
  3. Verhandlungsvergabe und Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb: Die Möglichkeit, diese flexibleren Verfahren anzuwenden, ist oft an landesspezifische Wertgrenzen geknüpft. Diese Grenzen variieren stark (z.B. liegen sie in einigen Ländern für Dienstleistungen bei 50.000 EUR, 100.000 EUR oder höher). Öffentliche Auftraggeber müssen hier zwingend die aktuellen Erlasse ihres Bundeslandes oder ihrer vorgesetzten Behörde beachten.

Fazit zur Unterscheidung: Eine kleine Kommune in Bayern hat andere Grenzwerte für eine Direktvergabe oder eine beschränkte Ausschreibung als eine Bundesbehörde in Berlin. Prüfen Sie immer die spezifischen Regelungen Ihres Standorts!

4. Legale Wege zur Verfahrensvereinfachung (Vermeidung der offenen Ausschreibung)

Eine Ausschreibung ist zeit- und ressourcenintensiv. Es gibt jedoch legale Ausnahmen und Gestaltungsmöglichkeiten, die es ermöglichen, auf einfachere Verfahren wie die Verhandlungsvergabe (ehemals Freihändige Vergabe) zurückzugreifen – und das auch oberhalb der üblichen Wertgrenzen.

Die wichtigsten Ausnahmetatbestände (§ 14 VgV / § 8 Abs. 4 UVgO) sind:

  • Besondere technische Gründe oder Ausschließlichkeitsrechte: Dies ist der gängigste Weg bei IT. Liegt eine Leistung vor, die aus technischen Gründen (z.B. notwendige, tiefgreifende Integration in ein bereits vorhandenes, komplexes IT-System wie ein Altsystem oder eine spezielle Datenbank-Architektur) nur von einem ganz bestimmten Unternehmen oder Dienstleister erbracht werden kann, kann eine Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb (Direktvergabe im engeren Sinne) zulässig sein.
    • Moodle-Spezialfall: Dies greift oft bei der Weiterführung oder Erweiterung einer bestehenden, hochspezialisierten Moodle-Instanz, bei der der bisherige Dienstleister über einzigartiges Know-how oder besondere, proprietäre Anpassungen verfügt, deren Neuentwicklung unverhältnismäßig teuer wäre.
  • Fehlender oder kein ausreichender Wettbewerb: Wenn nachweislich nur ein oder sehr wenige Anbieter für die spezielle Moodle-Dienstleistung infrage kommen.
  • Dringlichkeit: Bei unvorhersehbaren Ereignissen, die eine sofortige Vergabe zwingend erforderlich machen (eher selten bei geplanten Moodle-Projekten).

Wichtig: Diese Ausnahmen müssen lückenlos und wasserdicht dokumentiert und begründet werden. Die Rechtsprechung legt hier strenge Maßstäbe an. Die reine Behauptung, nur ein Anbieter könne es, reicht nicht aus.

5. Strategische Vergabegestaltung: Los- und Fachlose

Um unnötig große Ausschreibungen zu vermeiden und den Mittelstand zu fördern, ist die Pflicht zur Losvergabe zu beachten (§ 97 Abs. 4 GWB). Ein Moodle-Projekt kann in folgende Fachlose unterteilt werden:

  1. Los 1: Hosting/Infrastruktur-Betrieb
  2. Los 2: Moodle-Entwicklung/Customizing
  3. Los 3: Redaktionelle Content-Erstellung/Didaktik-Support

Wenn die einzelnen Lose unter dem maßgeblichen EU-Schwellenwert bleiben, können sie national ausgeschrieben werden, selbst wenn die Summe aller Lose den EU-Schwellenwert übersteigt. Es gibt hier zwar die 20%-Regel (§ 3 Abs. 7 VgV), die eine Ausnahme für kleine Lose erlaubt, aber die Losbildungspflicht selbst bleibt ein wichtiges Instrument der strategischen Vergabe.

Unser Tipp: Die korrekte Anwendung der Vergaberegeln für Moodle-Projekte ist komplex, aber entscheidend für eine rechtssichere und erfolgreiche Digitalisierung Ihrer Bildungseinrichtung. Eine frühzeitige, professionelle Schätzung des Auftragswerts und die Prüfung von Ausnahmetatbeständen sind dabei unerlässlich.

🎯 Fazit: $60.000$ € für Moodle – Ausschreibungspflichtig oder “Freihändig”?

Die klare Antwort lautet: Ja, der Auftrag ist ausschreibungspflichtig, aber nicht europaweit.

Ein Auftragswert von $60.000$ € (netto) liegt deutlich unter den EU-Schwellenwerten (aktuell $143.000$ € bzw. $221.000$ € für Dienstleistungen).

Das bedeutet:

  1. Keine EU-weite Ausschreibung: Das strenge, formelle Verfahren nach VgV und GWB (Oberschwellenbereich) ist nicht erforderlich.
  2. Nationale Pflicht: Es greift das nationale Vergaberecht (Unterschwellenbereich), primär die UVgO (Unterschwellenvergabeordnung).

Nach der UVgO besteht grundsätzlich die Pflicht zur Durchführung einer Öffentlichen Ausschreibung oder einer Beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb (§ 8 Abs. 2 UVgO).

Der Knackpunkt: Die nationale Wertgrenze

Hier kommt die entscheidende Variable ins Spiel: die landesspezifische Wertgrenze für vereinfachte Verfahren.

  • Die meisten Bundesländer und viele Behörden haben in ihren Verwaltungsvorschriften Wertgrenzen definiert, die oberhalb der $60.000$ € liegen können (z.B. $100.000$ € oder sogar $150.000$ € für IT-Dienstleistungen, je nach Bundesland und aktuellem Erlass).
  • Ist die Wertgrenze für die Verhandlungsvergabe höher als $60.000$ €? Dann kann die Behörde ohne weitere Begründung zwischen Öffentlicher Ausschreibung, Beschränkter Ausschreibung oder der flexiblen Verhandlungsvergabe wählen.
  • Ist die Wertgrenze niedriger als $60.000$ €? Dann muss in der Regel eine Öffentliche Ausschreibung oder eine Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden.

Kurz gesagt:

Ein Direktauftrag (ohne jegliches Verfahren) ist bei $60.000$ € fast immer ausgeschlossen (Direktaufträge liegen typischerweise bei $3.000$ € bis max. $20.000$ €).

Die Vergabe muss in einem Verfahren erfolgen. Ob es das formellste (Öffentliche Ausschreibung) oder das flexibelste (Verhandlungsvergabe) ist, hängt allein von den aktuellen Verwaltungsvorschriften und Wertgrenzen des jeweiligen Bundeslandes bzw. der zuständigen Aufsichtsbehörde ab.

Handlungsempfehlung: Der öffentliche Auftraggeber muss die aktuellen nationalen (Landes-)Erlasse prüfen. Sie sind der Schlüssel zur Wahl des richtigen, und im besten Fall flexibelsten, Vergabeverfahrens.

🤞 Achtung: Dieser Artikel stellt keine juristische oder steuerliche Beratung dar. Er beschäftigt sich aus fachlicher Sicht (inhaltliche Betreuung IT-System) mit praktischen Themen. Wir empfehlen ausdrücklich, zusätzliche qualifizierte Beratung einzuholen!

Unser Score
Klicke, um diesen Beitrag zu bewerten!
[Gesamt: 0 Durchschnitt: 0]